11.1
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Die parteipolitische Orientierung des Staatsbürgers wird in unserer Gesellschaft gern ständisch gedacht. Der saturierte Bürger wählt Union, der Freischaffende und Unternehmer FDP, der ehrgeizige Arbeiter oder Angestellte SPD, der an die Nachwelt denkt grün, dem Rest bleibt die Linke.
Wenn so wählen zu müssen Gesetz wäre, hätte die Union die Rolle der stärksten politischen Kraft gepachtet. Allerdings ist es auffällig, dass in den über sechzig Jahren BRD-Geschichte die Variante „Große Koalition“ die Ausnahme war. Ein Regierungsmandat für die SPD kommt hingegen einem ultimativen Alarmsignal gleich dafür, dass das Wohlergehen im Land nicht mehrheitlich ist.
Die Revolution bestünde darin, dass Menschen aus dem „Proletariat“ FDP-Wähler würden und in den Foren der Partei ihre Interessen zu denen der Partei zu machen suchten. Ähnliche „Übernahmeversuche“ durch neue Klientel gab es schon, etwa durch Studierende in Folge eines „Uni-Streiks“ um 1990. Ebenso könnte Christen geraten werden in die Linke einzutreten.
Die Wählerschaft in Deutschland, der verbliebene Rest der Wahlwilligen, gleicht im Wahljahr 2011 der napoleonischen Armee, die aus Russland zurückkehren muss. Sie ist ziemlich demoralisiert, also für Überraschungen gut.
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Am Mitwoch (5.1.) ist ein Vorstandsmitglied der BayernLB verhaftet worden. Die Hintergründe:
Der Risikofreund
50 Millionen Dollar hat der ehemalige BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky von irgendwem bekommen und in Österreich gebunkert. Das hat vor ihm noch keiner geschafft. Jetzt sitzt der oberste Risikokontrolleur im Gefängnis.
Am besten erklärt Gerhard Gribkowsky selbst, was er eigentlich macht bei der Bayerischen Landesbank. „Hauptaufgabe des Risk Office ist es, Risiken transparent und damit kalkulierbar zu machen.“ So doziert der Banker in alten Geschäftsberichten der Bayern LB. Wir „warnen früh“, wir „betreuen intensiv“, wir behalten schwierige Schuldner im Auge – „damit die Landesbank stabil und von Schaden verschont bleibt“.
Heute, vier Jahre später, sitzt der oberste Risikokontrolleur im Gefängnis. In seiner Zeit bei der Bayern LB hat der Bankenvorstand ein so waghalsiges Ding gedreht, dass sogar abgebrühten Kollegen der Atem stockt. 50 Millionen Dollar Schmiergeld – 37,5 Millionen Euro – soll Gribkowsky über Umwege in die Karibik und nach Österreich abgezweigt haben, als er für die Bayern LB einen großen Deal abwickelte. Seit Mitte vergangener Woche sitzt Gribkowsky in München-Stadelheim. Entlassungszeitpunkt? „Nicht absehbar“, sagt die Oberstaatsanwältin kühl.
50 Millionen Dollar Schmiergeld für einen Mann – das ist ein neuer Rekord. Reporter der Süddeutschen Zeitung haben Gribkowskys Stiftung kurz vor Silvester in Salzburg ausfindig gemacht, und den 52-jährigen Stifter in seinem Edel-Wohnort Grünwald bei München so lange mit Fragen getriezt, bis dieser selbst zur Staatsanwaltschaft floh, weil er sich verfolgt fühlte. Jetzt verfolgen die Beamten ihn umso heftiger.
Inzwischen gibt es eine Ahnung davon, wie das Geld zu Gribkowsky kam: In zwei Portionen, deklariert als Beraterhonorar, flossen die 50 Millionen von Mauritius und den Jungferninseln auf Konten in Österreich. Dort wurde der Batzen versteuert (das ist etwas billiger als in Deutschland) und 2007 in eine Stiftung namens Sonnenschein gesteckt. Deren guter Zweck: „die Versorgung des Stifters“.
Aber wer hat das Geld an Gribkowsky überwiesen? Und wofür? Dass er es als redlicher Berater verdiente oder erbte, halten die Ermittler für abwegig. Welcher Rat, den ein Vollzeit-Bankenvorstand nach Feierabend erteilt, ist 50 Millionen Dollar wert (und wird diskret über Offshore-Konten belohnt)? Auch die Theorie mit dem Erbe geht nicht auf. Zwar ist Gribkowsky kein Kind armer Leute, sein Vater Hellmut saß einst im Vorstand der Beck’s Brauerei. Aber dass aus dem Familienvermögen mal eben Millionen fließen – unwahrscheinlich.
Nein, es gibt schlüssigere Erklärungen. Um sie zu verstehen, muss man eine Bayern LB und einen Gribkowsky kennen, wie sie kaum im Geschäftsbericht porträtiert sind. Die einst biedere Bank erfand sich zu Gribkowskys Zeiten neu als Bavarian Global Player. Man eröffnete eine Filiale in Moskau, kooperierte mit Chinesen, emittierte Anleihen mit Namen wie „Catch-up-Bond mit Kick II“ oder „Jumbo-Pfandbriefe“ über 1,5 Milliarden Euro. „Alles banküblich“, diese Triple-Mezzanine-Konstrukte, beteuerte Gribkowsky später im Untersuchungsausschuss des Landtags. Trotzdem ermittelten schon damals Staatsanwälte gegen ihn. Denn der „Chief Risk Officer“ ließ sein Team zwar kräftig analysieren und intensiv betreuen – nur das Warnen kam zu kurz.
Vor allem als 2007 der größte Coup anstand: der Kauf der österreichischen Hypo Group Alpe Adria, der HGAA, für 1,6 Milliarden Euro. Eine Schrottbank, stellte sich bald heraus, mit Verbindung zur Balkan-Mafia und gewaltigen Risiken in den Büchern. Kostenpunkt des Abenteuers für den Steuerzahler: 3,7 Milliarden Euro. Risiko-Offizier Gribkowsky saß im Lenkungsausschuss für den Kauf. Kannte er die Kärntner Gefahr? Wurde sein Bauchweh mit 50 Millionen Dollar gelindert?
Die Münchner Staatsanwälte denken in eine andere Richtung. Gribkowskys Ding bei der Bayern LB war die Formel 1. Aus der Pleite von Leo Kirch hatte die Bank Anteile an einer Firma geerbt, die den Rennzirkus vermarktete. Da die Bank keine Autorennen veranstalten wollte, sollte Gribkowsky die Beteiligung möglichst gewinnbringend verkaufen. Leichter gesagt als getan. Dafür musste er das System des milliardenschweren Rennsport-Gurus Bernie Ecclestone entschlüsseln, der sich im Formel-1-Firmengeflecht eingerichtet hatte wie eine Spinne im Netz. Schmierte Ecclestone den Banker Gribkowsky, um einen Verkauf nach seinem Geschmack und zu seinen Preisen zu erreichen? Es deutet vieles darauf hin.
Forts. folgt
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Gerhard Gribkowsky, geboren am 16. April 1958, stammt aus Bremen. Nach kaufmännischer Ausbildung, Jurastudium und Promotion machte er Karriere bei der Deutschen Bank im Bereich Kreditmanagement für Firmenkunden. Zuletzt war er Mitglied der Geschäftsleitung für die Region München. 2003 wurde er Vorstand der Bayern LB, mit Zuständigkeit Risikomanagement. Für die Bank handelte er den Verkauf von deren Anteilen an der Formel 1 aus – und kassierte, wie sich nun abzeichnet, wohl 50 Millionen Dollar Schmiergeld. Seine Abberufung 2008 von der Bayern LB erfolgte aber im Streit um sein Risikomanagement. Seither lebte der geschiedene Vater von drei Kindern als Privatier mit einigen Aufsichtsratsämtern bei München.
9.1., Text: F.A.S.
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„Thematische Verengungen, die Parteinahme für einzelne Wählergruppen, die exklusive und dauerhafte Bindung an nur einen Koalitionspartner, die Radikalisierung von Programm und Rhetorik oder die interne Zirkelbildung sind keine Optionen für eine liberale Partei“.
Satz aus dem als „Pamphlet“ bewertetem „Jetzt erst recht“-Text der FAZ vom 4.1. der FDP-Prinzen Philipp Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr. Mit ihm ist dem Siebtelbauer, der zur Zeit die Partei dominiert, ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt.
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Der Schnee ist verschwunden aus der Stadt.
Nur an den Stellen ist er geblieben,
wohin er weggeschippt worden war.
Je mehr du überflüssig bist,
desto länger bist du.
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Letztes Wort
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„It is very beautiful over there.“ („Es ist sehr schön dort drüben.“) [als er aus dem Fenster sah]
Thomas Alva Edison, US-amerikanischer Erfinder, 1931
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