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Berliner Abendblätter 2.00

berliner abendblätter 2.00 am 10.1.

10.1.
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Eva Strittmatter beigesetzt
Im Artikel zum Tode der Dichterin ist am 4.1. ein Fehler unterlaufen. Es stand zu lesen, Frau Strittmatter habe die Hälfte ihres Lebens auf dem Schulzenhof verbracht. Dies trifft nicht zu. Es waren gut zwei Drittel! Der Nationalpreis, für dessen Ausschüttung Erwin Strittmatter den Hof gekauft hatte, wurde ihm füpr das Stück Katzgraben schon in den 1950er Jahren verliehen. Zur Beisetzung an der Seite von Mann und Sohn am letzten Sonnabend ein Extrablatt mit der Grabrede von Hermann Kant.
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Fünf Millionen sind flop, sieben sind top
„Der kalte Himmel“ erreichte am 4. Januar 2011 7,13 Millionen Zuschauer, das entspricht einem Marktanteil von 20,1%. Den ersten Teil am 3. Januar 2011 verfolgten 5,16 Millionen Zuschauer (14,3% MA). Hans-Wolfgang Jurgan, federführender Redakteur und Geschäftsführer der ARD Degeto: „Ich freue mich sehr, dass beim zweiten Teil ein so beachtlicher Zuschauerzuwachs zu verzeichnen ist – ganz besonders bei diesem Projekt, das von seiner Geschichte, aber auch von seiner Bildsprache und Machart ein wirklich herausragendes Qualitätsprogramm ist.“ (Das Erste)
Im Vorfeld schrieb die FAZ über die Protagonistin des Zimmerkinozweiteilers:
„Heute ist Christine Neubauer 48 Jahre alt und trägt Kleidergröße 38. Zeit, das Rollenfach zu wechseln – und den Sendeplatz.
Wenn Christine Neubauer über den Zweiteiler „Der kalte Himmel“ spricht (zu sehen am 3. und 4. Januar jeweils um 20.15 Uhr im Ersten), klingt es wie das Projekt eines Experimentalfilmers. Doch es ist wieder ein Film der Degeto, produziert von dem Fernseh-Event-Spezialisten Nico Hofmann. Das Experimentelle dabei: Wird es für Neubauer-Fans möglich sein, sich an die neue Neubauer zu gewöhnen?
Sie spielt hier eine Hopfenbäuerin, die Ende der sechziger Jahre mit ihrer Familie auf einem Bauernhof in der Hallertau lebt und merkt, dass mit ihrem schweigsamen Sohn etwas nicht stimmt. Die Schwiegermutter will ihm den Teufel austreiben lassen, der Schularzt rät zur Hilfsschule. Marie Moosbacher aber will ihn nicht aufgeben und fährt in die Stadt, um herauszufinden, was mit ihrem Sohn los ist. „Als ich das Exposé las, hatte ich meine berühmte Gänsehaut“, erzählt Neubauer. „Wenn mir ein Schauer über den Rücken läuft und mein Bauch grummelt, dann weiß ich, dass mich diese Geschichte berührt.“
Da klingt nach typischer Ich-kämpfe-um-mein-Kind-Geschichte. Tatsächlich aber ist es ein Heimatfilm ohne Dirndl, Alpenglühen und Weißbier-Feeling. Er zeigt den trostlosen Alltag der Hopfenbauern im bitterkalten Winter, die dörfliche Enge und die Zwänge der Gesellschaft in den sechziger Jahren. Neubauer spielt wider Erwarten nicht die patente Bäuerin, eher bewegt sie sich über drei Viertel des Films ungeschminkt in unvorteilhaften Kleidern durch die Szenerie und zügelt klug ihr Vollweib-Temperament bis zur hilflosen Starre.
Sperriges Thema ohne Happy End
Für Neubauer ist der Heimatfilm ein Anknüpfen an die Charakterrollen, mit denen sie ihre Karriere startete. Für Nico Hofmann, der sie dazu brachte, einen anderen Weg zu gehen, ist es die neue Neubauer. Der Produzent kennt die Schauspielerin aus der Zeit, als er an der Münchner Filmhochschule studierte. „Ich weiß, was in ihr schlummert, wenn sie die richtige Rolle bekommt“, erzählt er am Telefon. In München sei sie damals eine Ikone gewesen, die an kleinen Theatern reüssierte und mit der „Löwengrube“ als großes Talent startete. „Sie verfügt über eine große Charakterstärke, sie ist ein radikaler Mensch. Eigenschaften, die in vielen Produktionen verschüttet worden sind.“
„Der kalte Himmel“ ist für alle Beteiligten ein Risiko. Es ist ein sperriges Thema. Es gibt kein klassisches Happy End. Der Film läuft an einem Montag und Dienstag. Wenn die Einschaltquoten feststehen, wird man wissen, ob die Zuschauer Neubauers Kurswechsel honoriert haben. Wenn ja, stünde im Drehbuch: „Christine lächelt. Sie hat den Kampf gewonnen.“ Es wäre für die Schauspielerin, die uns so viele Happy Ends beschert hat, ein glücklicher Neuanfang.“ (Text: Anke Schipp)
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In 40 Jahren Bundespräsident und Bundeskanzler? Marc und Eric sind Placek und Jacek
Die Gebrüder Kaczynski standen im Alter von 13 Jahren in den „Monddieben“ vor der Filmkamera. In „Der kalte Himmel“ geht es um das Schicksal des Asperger-Kindes Felix, der im Schichtbetrieb von Zwillingen dargestellt worden ist.
„Die eigentlichen Stars des Films sind aber die Münchner Zwillinge Marc und Eric Hermann, die sich die Rolle des Felix teilen. Die tz traf die beiden Neunjährigen zum Interview. „Schuld“ daran, dass Marc und Eric in dem Film gelandet sind, ist eigentlich – ein Stau. Mutter Andrea Hermann (42) saß gemeinsam mit den Söhnen im Sommer 2009 in ihrem Auto und steckte in Haidhausen fest. „Auf einmal klopft es an der Tür, und eine junge Frau fragt mich: ,Sind das Zwillinge?“‘ „Ja“, antwortet sie. „Eineiig?“ – „Ja.“ – „Wie alt?“ – „Acht“. „Super! Wir brauchen Ihre Jungs für einen Film.“
In der Schule ist Felix (Marc Hermann) völlig überfordert. Ohne groß nachzudenken, verrät Andrea Hermann ihre Telefonnummer und fährt heim. Wenige Tage später meldet sich tatsächlich die Dame von der Produktionsfirma und will Probeaufnahmen machen. Die Hermanns sind zunächst skeptisch, stimmen dann aber zu. Und das Ergebnis? Volltreffer! Regisseur Johannes Fabrick ist fasziniert – Marc und Eric bekommen die Rolle. Und das bedeutete für sie zunächst mal eines, wie sich Marc mit leuchtenden Augen erinnert: „Wir mussten fast drei Monate nicht in die Schule gehen!“ 55 Drehtage standen auf dem Plan, die meisten in der Hallertau, einige in Berlin. Die Rektorin ihrer Schule (eine Münchner Privatschule) war einverstanden – Unterricht gab es aber trotzdem: Eine Lehrerin wurde engagiert, außerdem war stets eine Psychologin vor Ort, die acht gab, dass die Jungs nicht überfordert werden.
Vier Stunden am Vormittag war der eine dran, vier Stunden am Nachmittag der andere. Länger dürfen Kinder am Set nicht drehen, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Und sie mussten üben, üben, üben. Vor allem, weil der Felix ja ein besonderes Kind ist. „Der ist halt ein bisschen gaga und gleichzeitig total schlau“, sagt Eric. Was Autismus bedeutet, wussten und wissen die Zwillinge nicht. „Dafür sind sie zu klein“, sagt die Mama. „Wir haben ihnen erklärt, dass der Felix anders ist als sie, dass er anders fühlt und denkt und reagiert.“ „Einmal musste ich mit Hausschuhen auf ein Hopfenfeld voller Schnee rennen“, erinnert sich Eric. „Das war so kalt, ich wäre beinahe erfroren. Aber der Felix hat solche Sachen halt gemacht.“
Oder die Geschichte mit dem Essen. „Der kann seinen Löffel nicht richtig halten. Das mussten wir auch üben. Oder wenn er anfängt zu schreien und so richtig ausrastet – das war anstrengend zu spielen, hat aber auch ganz schön Spaß ­gemacht.“ Im zweiten Teil des Films (am Dienstag in der ARD), kommt Felix’ Fähigkeit zutage, dass er sich ungeheuer viele Zahlen merken kann. Wie haben die Zwillinge das hinbekommen? „Hm …“, schmunzeln sie. „Wir haben den Text gelernt, auch die Zahlen, aber da gibt es einen Trick, den wir nicht verraten, sonst kriegen wir Ärger …“ Sie lachen. Denn Ärger können sie nicht gebrauchen, vielmehr hoffen sie auf ein neues Filmangebot – jetzt, da sie Spaß am Drehen haben. Gibt es denn schon Aussichten auf ein neues Projekt? Ehe die Jungs antworten können, schreitet die Mama ein: „Marc und Eric sind nun in der vierten Klasse. Da entscheidet sich, ob sie aufs Gymnasium gehen. 2011 hat die Schule also eindeutig Vorrang.““
Stefanie Thyssen, tz online
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Letztes Wort
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„KHAQQ calling Itasca. We are on line position of one five seven dash three three seven. Will repeat this message on six two one nought kilocycles. Wait. Listening on six two one nought kilocycles. We are running north and south.“ („KHAQQ ruft Itasca. Wir sind auf Position 157-337. Wir werden uns auf 6210 Kilohertz melden – pardon – auf 6210 Kilohertz empfangen. Wir fliegen nach Norden und Süden.“) [Earhart und ihr Navigator Fred Noonan suchen die Howland-Insel, den letzten geplanten Zwischenstopp auf ihrer Weltumrundung]
Amelia Earhart, US-amerikanische Flugpionierin, 1937
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Extrablatt
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Hermann Kant, Rede am Grab, 08.01.2011
„Euch, lieber Ilja, lieber Erwin, lieber Jakob, euch muss man nicht sagen, wer uns hier verlorengeht. Ehe ihr die Söhne einer Dichterin wurdet, wart ihr die Kinder einer Mutter, die euch zu essen gab und euch zeigte, wie man einen Knoten macht, die gegen den Husten scheußliche Mittel kannte, hundert Märchen wusste und Antwort auf die Rätsel der Schule. Die Frau war einfach da. Mit ihrem Mann dürfte es etwas anders gewesen sein. Den kanntet ihr von Anbeginn als einen, den alle Welt kannte. Der las nicht nur Bücher, er schrieb auch welche. Der stand in der Zeitung, ja auf dem Stundenplan. Nicht, ob das eine Last gewesen sei, lautet die Frage, sondern wann euch auffiel, dass die immerfort beschäftigte Mutter eine Person war, zu der Euer tonangebender Vater in einem anderen Ton sprach als zu der übrigen Menschheit, die in Gestalt volkseigener Verleger, hauptstädtischer Amtsboten, begeisterter Leser und furchtloser Jungpoeten leibhaftig oder am Schulzenhofer Telefon in Erscheinung trat.
Eine andere Stimmlage ist zu vermuten, denn zu allem übrigen war Eva Strittmatter – die keineswegs milde Literaturkritikerin – ja immer auch erste Leserin und ehrenamtliche Lektorin von Erwin Strittmatter. Dies aber sind Bezeichnungen, an deren Stelle, bedenkt man das Temperament des betreuten Mannes, auch Spitzendiplomatin oder Superpädagogin stehen könnte. Das heikle Literaturgespräch zwischen Mann und Frau ist Erwins Geschichten und dann auch Evas Gedichten außerordentlich bekommen. Und uns – ihren hier versammelten und in aller Welt vorhandenen Lesern – ist es zugute gekommen. Also auch Euch, die Ihr – zusammen mit uns, verbunden mit uns – eure Mutter an einen Platz begleitet, an dem der Vater seit dem Januar vor siebzehnen Jahren ruht. Und an dem Bruder Matthes, dessen alle, die ihn kannten, in Liebe gedenken, gleich lange begraben liegt. Zur Dichtung, die nur ein anderes Wort für Gedenken und Bedenken ist: Der ­streng bedachte Umgang der Schreiberin und des Schreibers mit Erfahrung und Traum, mit Erlittenem und Unerhörtem, mit den Lebensnachbarn und mit sich selbst, hat zweimal Großes bewirkt. Auf ihren Feldern waren sie so von einander unterschieden wie einander ebenbürtig. Man muss sie als selbständige, stets den anderen stützende, aber immer sich selber tragende Dichtersleute sehen, deren unablässige Suche nach dem treffenden Wort, dem zutreffenden Satz, dem vortrefflichen Bild, dem trefflichen Reim zu einem einzigartigen literarischen Doppel-Werk geführt hat. Auch wenn sie stolz aufeinander gewesen sind, sahen sie sich nicht als Tandem. Zu Recht, nur darf man mit ebensolchem Recht von einer Wirkung sprechen, die nun auf beide zurückgeht: Dank ihrer Leistung löst Schulzenhof – wie auch Dollgow, in dem die Strittmatter-Stelen stehen – einen Anspruch ein, den es gibt, seitdem diese Dörfer zu einer Großgemeinde gehören, die sich mit dem hoch-, ja höchstliterarischen Namen Stechlin belehnte. Kein Zweifel, zwischen Rheinsberg und Gransee und über Neuruppin hinaus ist Fontane-Land. Und dank der Gedichte, Geschichten und Briefe aus Schulzenhof ebenso Strittmatter-Land. Zumal Eva Strittmatter, die wir in diesen märkischen Hügel betten, gleich Fontane oder Schinkel im nahen Neuruppin geboren wurde. Vor, nur ein Monat fehlt noch, einundachtzig Jahren. Demnach, das muss man sagen dürfen, war sie siebenundzwanzig, als sie dem Redner, der sie nur schriftlich kannte, auf offener Straße zu seiner ersten Geschichte gratulierte und ihm sehr dringlich riet, ein Schreiber und kein Redner zu werden. Er hat sich leider nicht daran gehalten, und heute, vierundfünfzig Jahre nach dem ersten Gespräch mit ihr und sechs Tage nach dem letzten, nutzt er sein trauriges Amt zu der Frage, wer uns sagen kann, wo ein ähnlich eng umschranktes Gräbergeviert wie das, in dem wir uns befinden, von gleich zwei solchen Namen, gleich zwei so weitreichenden Geistern ausgeleuchtet wird?
Evas Name sei, wo es Abschied gilt, ein weiteres Mal genannt. Es stimmt, Eva Strittmatter hat von sich als einer Besonderen gewusst und hat gelassen auf sich bestanden. Doch vergaß sie keinen, ohne den ihr Leben nicht gegangen wäre. Wer mit ihr zu tun bekam, wurde – von der Familie zu schweigen – vertraut mit Helfern oder helfenden Freunden, die Dr. Diener, Henry, Constanze und Dr. Gieseke hießen oder seit Urfernen Bruno, Edith, Horst und so durch die Namenslisten hin. Wo schon Evas Gedächtnis für Läufte und Gelesenes beeindruckte, nahm sich das für Zeitgenossen aller Art fast einschüchternd aus. Sie hatte den Mut, sich auf das Leben einen Reim zu machen. Sie konnte im Glück haushalten, und Hof halten konnte sie auch. Aber wie man zu Freunden im Unglück hält, wusste sie wie kaum ein anderer. Manches, sagt der Redner, hat er einzig mit ihr bereden können.
Lieber Jakob, lieber Erwin, lieber Ilja, einfachster Sachverhalt: Weil sie hier war, seid Ihr da. Und: Weil sie hiergewesen ist, werdet ihr – werden wir – nie mehr alleine sein.“
(Hermann Kant, Rede am Grab, 08.01.2011)