31.10.
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Außerungspflicht zur Organspende
Der immer ausgefeilteren und immer größere Erfolge zeitigenden Organtransplantationsmühle fehlen zum mahlen die Organe! Eine Anhörung des Deutschen Ethikrats am letzten Mittwoch in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft versucht mehrheitlich, die Not zu lindern. Aber die Argumente der zahlenmäßig geringeren Ethiker sind driftiger.
Der Moderator, Eckhard Nagel, hat drei Doktortitel, in Medizin, Philosophie und Theologie, den letzteren ehrenhalber. Als Schlichter taugte er weniger, er ist auch Partei. Drei Referenten haben Gelegenheit zur Präsentation ihrer Position. Ein Chirurg und Praktiker im Transplantationsbereich, Peter Neuhaus, der Regionsleiter Mitte der Deutschen Stiftung Organtransplantation Thomas Breidenbach, das Ethikrat-Mitglied Weyma Lübbe, vom Institut für Philosophie der Universität Regensburg. Auf ihr lastete der Hauptpart der Bedenkenträgerei oder anders, zu ihr hin kippte der Druck des Ermöglichungsbegehrens, fachlich präzise ausgedrückt der „Widerspruchslösung“ (wer nicht spenden will, muss es ausdrücklich machen). Andere Podiumsmitglieder umrahmten den Abend. Die Politik war repräsentiert durch Annette Widmann-Mauz von der CDU, der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit. Die möglichen Betroffenenseiten waren anwesend in Person von Marita Donauer, einer Organspenderangehörigen, und Jutta Riemer, seit 13 Jahren mit einer neuen Leber lebend. Als Vertreter des Rechts war Hans Lilie da, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und Medizinrecht an der Universität Halle-Wittenberg. Seine Prognose war interessanterweise die, es sei gleichgültig, ob es zur Widerspruchs- oder zur Zuspruchslösung komme, dies würde nichts an der Bereitschaft zum Spenden ändern. Im Leibniz-Saal der Akademie waren auch ehemalige Bundesjustizminister, Edzard Schmidt-Jorzig übernahm die Begrüßung und Jürgen Schmude plädierte dafür, dass im Führerschein eine Rubrik freiwillig Auskunft geben könne über die Willigkeit zur Spende. Frau Widmann-Mauz hält aber die Krankenkassekarte für den geeigneteren Informationsträger für dieses Bekenntnis.
Das Setting der Veranstaltung lief eindeutig darauf hinaus, die in der Medizin auftauchende Organspendefrage mit Unterstützung aus der Erfahrungswelt und dem Fach Ethik für die Medizin zufriedenstellend zu beantworten. Bezeichnenderweise glaubt der Organhandwerker Neuhaus lediglich ans christliche Fundament der Gesellschaft appellieren zu müssen, um die dringliche Bereitschaft zur Spende breit zu erwecken.
Bei der Diskussion der Tauschbeziehungen, die auf deutschem Boden stark restringiert sind, wurde die ökonomische Position, wie sie der nicht anwesende Charles Blankart vertritt, beschworen. Von ihm stammt das Papier „Spender ohne Rechte. Das Drama der Organtransplantation“. In diesem geht es laut einer eigenhändigen Zusammenfassung um folgendes:
>Organtransplantation, ein bislang Juristen und Ethikern vorbehaltenes Gebiet, wirft fundamentale ökonomische Fragen auf. 1.500 Patienten sterben jährlich in Deutschland wegen Mangel an Spendeorganen. Die staatliche Regulierung ist nicht darauf ausgerichtet, Spender und Empfänger von Organen zusammenzubringen und die Lücke zu schließen. Der Grund liegt vorwiegend darin, dass den Spendern Rechte an ihren Organen vorenthalten werden. Wie es dazu kam, soll in diesem Aufsatz mit Hilfe des institutionenökonomischen Instrumentariums erklärt werden. Alternativ wird gefordert, den Menschen das Recht zuzugestehen zu erklären: „Meine Organe spende ich postmortal primär an spendewillige Kranke.“ Eine solche Erklärung dient als Signal für andere, sich ebenso zu verhalten und dem Organmangel durch Solidarität entgegenzuwirken.<
Die ethisch argumentierenden Beteiligten, dazu gehörte letztlich auch – überraschenderweise – die Politikerin, operieren jeweils mit Aussage und Folgen aus der Goldenen Regel. Fordere nichts vom anderen, was du nicht bereit bist, auch dir abzufordern. Frau Widmann-Mauz stellte die Frage in den Raum: Was sind Geschenke von Genötigten?
Ganz aufgeschmissen mit der Goldenen Regel sind die betroffenen Beteiligten. Der Dank für eine empfangene Leber, ist er abgestattet mit dem Organspendeausweis allein? Die Angehörige, die den mutmaßlichen Willen des verstorbenen Bruders zugunsten seiner Spende bekundet, müsste sie nicht nach ihrem Ableben mit Sicherheit das gleiche, die gleichen Organe hergeben? So wie ich mich verpflichtet fühle, meinen toten Körper verbrennen zu lassen, weil ich einst einem toten Freund auf mutmaßliche Weise die Einäscherung bereitet habe.
Das Auditorium war gut besucht, und es waren nicht nur die allfälligen Cracks anwesend, sondern auch junge Leute, von Schulen geschickt. Einen Anstoß zum Nachdenken hat man sich allemal geholt. Des Untertitels der Veranstaltung hätte es in der Hinsicht nicht bedurft: „Sollte der Staat verlangen, dass sich jeder erklärt?“ Vorgängigere Fragen sind immer noch ungenügend beantwortet. Dies sichtbar zu machen taugte allein eine Folie mit der Durchleuchtung eines Hirntoten. Das Hirn, ein schwarzer Fleck. Der Laie weiß, mit einem abgestorbenen Organ oder toten Fötus kann ein Organismus nicht lange leben, er wird „angesteckt“. Ist es das Hirn wirklich: tot?
Immerhin ist ein Organspendeausweis so etwas wie eine Fahrkarte zu einem siechtumfreien Tod: der Apparat wird abgeschaltet werden, die Entnahme der Organe ist die Grenze.
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Ein Jahr ohne Fabian Rappel (* 12.4.1979, † 31.10.2009)
Aichach vor einem Jahr: „Wie am vorgestrigen Totensonntag bekannt wurde, hat sich der 30-jährige Fabian Rappel aus Aichach am 31. Oktober das Leben genommen. Der als sensibel geltende junge Mann war nach einem Maschinenbaustudium arbeitslos geworden und zunehmend an dieser Situation verzweifelt. Er übte kurz vor seinem Tod heftige Kritik an der Sanktionspraxis bei Hartz IV, unterzeichnete eine Petition zu ihrer Abschaffung und sprach sich statt dessen für ein Grundeinkommen aus, dessen Einführung er aber aufgrund mangelnder Einsicht der Menschen in weiter Ferne sah.
Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass Rappel ohne die von ihm als demütigend empfundene Behandlung durch die Sozialbürokratie noch am Leben sein könnte. In einem Beitrag im Forum der Sterbehilfeorganisation Dignitas schrieb er: „Ich kann euch nur sagen, dass ich meinen Lebensinhalt schon immer in sinnvoller Beschäftigung gesehen habe, weder bin ich Alkoholiker, noch anderweitig drogenabhängig, weder körperlich in der geringsten Form beeinträchtigt, noch zu dumm für die Gesellschaft. Jetzt bin ich ausgestoßen, traue mich seit einer Ewigkeit nicht mehr unter Menschen, meide jeden vermeidbaren Kontakt und bin hier gelandet.“ Und in einem anderen Beitrag des Forums richtet er harte Vorwürfe an die Arbeitsagentur: „Ich wurde zu keinem Zeitpunkt beraten, ich wurde belogen, ich wurde gegängelt, mir wurde bei Anfrage Beratung verweigert, ich wurde abgewimmelt, ich wurde zu keinem Zeitpunkt ernst genommen, ich wurde bedroht, mir wurden Anträge vorenthalten, ich wurde bevormundet … Ich werde das nicht noch einmal durchmachen.“
Am 31. Oktober starb Fabian Rappel in seiner Wohnung an einer Vergiftung durch Kohlenmonoxid, das er mit Hilfe einer selbst gebauten Vorrichtung erzeugt hatte. Nach Auskunft seiner Eltern haben sie seine Aufzeichnungen und Vorwürfe an die zuständige Arbeitsagentur weitergeleitet, aber bislang keine Reaktion darauf erhalten.“
Wer führt die Suizid-Statistik von Alg-II-Empfangenden? Das Internet wird immer voller von Einzelnen oder (Ehe-)Paaren, die tot mit einem Abschiedsbrief gefunden werden.
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Letztes Wort
„¿Quién es? ¿Quién es?“ („Wer ist da? Wer ist da?“)
Billy the Kid, US-amerikanischer Revolverheld, 1881
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Extrablatt Pressemeldungen Berliner Gerichte im Oktober
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Presseübersicht der Staats- und Amtsanwaltschaften
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PM 47/2010 Anklageerhebung gegen den Vorsitzenden des gemeinnützigen Vereins Hatun & Can wegen Betruges
Pressemitteilung Nr. 47/2010 vom 04.10.2010
Generalstaatsanwaltschaft Berlin
– Der Pressesprecher –
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den 42-jährigen Udo D. im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorsitzender des gemeinnützigen Frauenhilfevereins „Hatun & Can“ Anklage wegen gewerbsmäßigen Betruges und Urkundenfälschung vor dem Landgericht Berlin erhoben.
Der im Jahre 2006 gegründete Verein verfolgt seiner Satzung zufolge den Zweck, von Zwangsehen bedrohten Frauen zu helfen.
Dem Angeschuldigten wird vorgeworfen, im Zeitraum zwischen Januar 2007 und April 2010 als Vorsitzender und Alleinverantwortlicher des Vereins mit wahrheitswidrigen Behauptungen über Umfang und Ausgestaltung der Vereinstätigkeiten sowie den Finanzbedarf des Vereins von diversen Unterstützern Spendengelder in Höhe von über 690.000.-€ erschlichen zu haben.
Zu diesem Zweck soll er insbesondere auf der Homepage des Vereins, aber auch durch in den Medien veröffentliche Äußerungen gezielt den Eindruck erweckt haben, die Spenden kämen direkt den von Zwangsehen bedrohten Frauen zugute. Zudem soll er vorgegeben haben, der Verein könne dem Ansturm von bedrohten Frauen kaum gerecht werden und der Verein unterhalte mehrere eigene Schutzwohnungen für die Frauen, der finanzielle Aufwand für den Schutz einer hilfesuchenden Frau betrage durchschnittlich 2000.- €.
Im Vertrauen auf diese vorgespiegelten Aktivitäten leisteten diverse Spender in den Jahren 2007 bis 2009 Spenden in Höhe von insgesamt über 190.000.- €, obwohl der Verein der Anklage zufolge im Tatzeitraum tatsächlich nur maximal etwa 30 Personen betreut haben soll, deren Unterbringung und Unterstützung zudem nicht von Hatun & Can, sondern von anderen Organisationen bzw. dem Jobcenter finanziert worden sein soll.
Mit der wahrheitswidrigen Behauptung, aufgrund des Spendenrückgangs in den Sommermonaten sei der Verein nicht mehr in der Lage, den vielen Hilfsanträgen nachzukommen, soll der Angeschuldigte schließlich im Sommer 2009 die Journalistin Alice Schwarzer per E-Mail dazu veranlasst haben, in der Fernsehsendung „Wer wird Millionär“ als Zuwendungsempfänger für ihren Gewinn in Höhe von 500.000.-€ „Hatun & Can“ zu bestimmen, woraufhin die RTL Television GmbH den Geldbetrag auf das Konto des Vereins überwies.
Die Spendengelder soll der Angeschuldigte plangemäß nicht für Vereins-, sondern nahezu ausschließlich für eigene Privatzwecke wie Lebenshaltungskosten, Genussmittel, Bekleidung, Reisen für Lebensgefährtinnen und Bekannte sowie für den Erwerbs eines PKW zum Kaufpreis von über 63.000.- € verwendet haben.
Weiterhin wird dem Angeschuldigten gewerbsmäßige Urkundenfälschung in 61 Fällen durch Herstellen von fingierten Quittungen und Belegen zum Nachweis angeblicher Vereinsaktivitäten zur Last gelegt.
Der Angeschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft, im Zuge der Ermittlungen ist ein Geldbetrag in Höhe von insgesamt über 380.000.- € sowie ein PKW BMW X 6 beschlagnahmt worden.
Steltner
Pressesprecher
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Gerichtsmedizinischer Sachverständiger: Angeblich 13-jähriger „Kinderdealer“ mindestens 21 Jahre alt – Untersuchungshaft angeordnet
Pressemitteilung Nr. 48/2010 vom 08.10.2010
Generalstaatsanwaltschaft Berlin
– Der Pressesprecher –
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat eine Ermittlungsrichterin gegen einen jungen Mann Untersuchungshaft angeordnet, der im Verdacht steht, gewerbsmäßig unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben, gegen das Waffengesetz verstoßen sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben.
Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, im Zeitraum zwischen Juli 2009 und Juli 2010 in Berlin-Kreuzberg und Berlin-Neukölln unter anderem im Bereich von U-Bahnhöfen mit Heroin gehandelt zu haben. Gegen eine polizeiliche Festnahme soll er sich zudem zur Wehr gesetzt haben und dabei mit einem Schlagring und mit Reizgas bewaffnet gewesen sein.
Der Beschuldigte ungeklärter Staatsangehörigkeit und zunächst ungeklärten Alters gibt sich bislang als 13-jähriges, von Erwachsenen unbegleitetes Kind aus und tauchte nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen aus diversen Jugendhilfeeinrichtungen regelmäßig in die Drogenszene ab, um Drogengeschäfte abzuwickeln. Wegen seiner zunächst nicht widerlegbaren Strafunmündigkeit konnten Polizei und Staatsanwaltschaft keine Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn ergreifen.
Aufgrund von Zweifeln an seiner Altersangabe hat die Staatsanwaltschaft angesichts wiederholter mutmaßlicher Betäubungsmittelstraftaten des Beschuldigten seine gerichtsmedizinische Altersbegutachtung veranlasst, deren Ergebnis am 30. September 2010 vorlag und ergeben hat, dass der Beschuldigte nicht 13 Jahre alt ist, sondern mindestens 21 Jahre, möglicherweise sogar noch deutlich älter.
Die Ermittlungen dauern an.
Steltner
Pressesprecher
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Ermittlungsverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst wegen Betruges und Untreue im Zusammenhang mit der Abrechnung von Flugreisekosten eingestellt
Pressemitteilung Nr. 50/2010 vom 27.10.2010
Generalstaatsanwaltschaft Berlin
– Der Pressesprecher –
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat das Ermittlungsverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst wegen Betruges und Untreue im Zusammenhang mit der Abrechnung von Flugreisekosten gegenüber der Verwaltung des Deutschen Bundestages eingestellt.
Zuvor hatte sich der Abgeordnete umfassend zu den einzelnen Flugreisekostenabrechnungen und seiner Flugreiseabrechnungspraxis für die Jahre 2006 bis 2010 eingelassen.
Die Überprüfung seiner Angaben durch die Staatsanwaltschaft hat ergeben, dass die Flüge des Abgeordneten ganz überwiegend mandatsbezogen waren. Soweit in wenigen Einzelfällen Zweifel an einem eindeutigen Mandatsbezug verblieben, ist die Staatsanwaltschaft angesichts des weiten Spielraums, der den Abgeordneten bei der Bestimmung ihrer mandatsbezogenen Sphäre eingeräumt ist, zugunsten des Beschuldigten davon ausgegangen, dass er irrtümlich eine Mandatsbezogenheit angenommen hatte und in vorsatzausschließender Weise davon ausgegangen war, auch zur Abrechnung dieser Flugreisen gegenüber der Verwaltung des Deutschen Bundestages berechtigt gewesen zu sein.
Steltner
Pressesprecher
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Pressemeldung der Senatsverwaltung für Justiz
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Justizsenatorin Gisela von der Aue: „Durch den heutigen Kabinettsbeschluss droht eine neue Klageflut wegen Hartz IV.“
Pressemitteilung Nr. 46/2010 vom 20.10.2010
Von der Aue: „Zahlenspiele gefährden das Vertrauen der Bürger“ – „Solange die Sachleistungen des Bildungspakets nicht flächendeckend gewährleistet sind, sollte übergangsweise Bargeld an die Familien ausgezahlt werden.“
Durch den heutigen Beschluss des Bundeskabinetts zur Neuregelung von Hartz IV droht eine neue Klageflut vor den Sozialgerichten. Das befürchtet die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue. Sie appelliert an die Bundesregierung, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen. Die Justizsenatorin fordert daher beispielsweise, die vorgesehenen Sachleistungen für Bildung ab 1. Januar 2011 zumindest für eine Übergangszeit in bar an die Familien auszuzahlen. Justizsenatorin von der Aue: „Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss das Existenzminimum der Kinder ab dem 1. Januar 2011 vollständig gewährleistet sein. Dazu gehört auch der Bildungsbedarf der Kinder. Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Sachleistungen des Bildungspakets innerhalb dieser neun Wochen wirklich im gesamten Bundesgebiet zuverlässig umzusetzen, egal, ob als Gutschein oder als „Kostenübernahmeerklärung“. Wo die Umsetzung nicht gelingt, ist ab dem 1. Januar eine Flut von Rechtsstreitigkeiten zu befürchten. Für eine Übergangszeit bleibt daher nichts anderes übrig, als die Leistung in bar direkt an die Familien auszuzahlen, da sonst die Kinder für diesen Bereich zunächst gar nichts bekommen.“
Unklare Regelungen zur Lernförderung
Langwierige Prozesse durch alle Instanzen befürchtet die Justizsenatorin durch die unklaren Regelungen zur Lernförderung. Laut Gesetz ist eine „angemessene“ Lernförderung vorgesehen, die „geeignet und zusätzlich erforderlich“ ist. Die Justizsenatorin: „In der Praxis werden sich die Betroffenen, die Sachbearbeiter und die Richter schwer tun, diese unbestimmten Begriffe zu klären.“ Ähnlich unklare Begriffe haben bereits in der Vergangenheit zu Tausenden von Gerichtsverfahren geführt, beispielsweise zur „Angemessenheit“ der Kosten der Unterkunft.
Die Justizsenatorin fürchtet aber auch viele Rechtsstreitigkeiten, weil bis heute nicht vollständig dargestellt wurde, wie sich die Höhe der Leistungen für Kinder errechnet. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 unter anderem gerügt, dass die Hartz-IV-Leistungen für Kinder verfassungswidrig festgesetzt waren. Der Bedarf der Kinder sei „ohne eine empirische oder methodische Fundierung“ sozusagen „freihändig“ festgesetzt worden.
„An vielen Stellen nur ein Schrägstrich“
Justizsenatorin von der Aue: „Der heutige Gesetzentwurf präsentiert zwar eine Fülle statistischer Daten. Die Berechnung ist jedoch nicht lückenlos überprüfbar. An vielen Stellen befindet sich in der veröffentlichten Statistik lediglich ein Schrägstrich, weil noch nicht einmal 25 Haushalte Angaben zu diesem Punkt gemacht haben. Es wird sicherlich noch viel darüber gestritten werden, ob das ‚belastbare Zahlen’ sind, wie sie das Bundesverfassungsgericht als Grundlage für das neue Gesetz eingefordert hat.“
„Zahlenspiele gefährden das Vertrauen der Bürger in den Gesetzgeber“
Justizsenatorin von der Aue: „Gleiches gilt für den Schulbedarf der Kinder. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom Februar ausdrücklich gerügt, dass nicht nachvollziehbar sei, wie der bisherige jährliche Pauschalbetrag von 100 Euro ermittelt wurde. Das neue Gesetz sieht nun wieder lediglich diese 100 Euro für den Schulbedarf vor, die jetzt allerdings in Teilbeträgen von 70 und 30 Euro ausgezahlt werden sollen. Solche Zahlenspiele gefährden das Vertrauen der Bürger in den Gesetzgeber. Es ist zu befürchten, dass dadurch noch mehr Bürger die Gerichte anrufen, um am Ende des In-stanzenzugs eine erneute Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu erreichen.“
Die Justizsenatorin appelliert an die Bundesregierung, den Gesetzentwurf spätestens bis zur Beratung im Bundestag nachzubessern.
Hintergrund: Schon jetzt mehr als 100.000 Gerichtsverfahren wegen Hartz IV
In Berlin befindet sich das größte deutsche Sozialgericht. Seit Inkrafttreten von Hartz IV im Januar 2005 sind allein in Berlin mehr als 100.000 Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit diesem Rechtsgebiet eingegangen. Weitere Zahlen im Internet: http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/lsg/hartzivinfo.html
Die Zahl der Richter wurde seit dem Jahr 2005 mehr als verdoppelt (von 59 Richtern auf 121). Die Kosten für das Gericht sind von jährlich 13,5 Millionen Euro auf inzwischen 21 Millionen Euro gestiegen.
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Presseübersicht des Kammergerichts
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Landgericht Berlin: Entscheidungen über drei so genannten „Altfälle“ der Sicherungsverwahrung nach Ablauf der früher gesetzlich festgelegten zehnjährigen Höchstfrist (PM 50/2010)
Pressemitteilung Nr. 50/2010 vom 13.10.2010
Die Präsidentin des Kammergerichts
– Pressestelle der Berliner Strafgerichte –
Die 98. Strafkammer (Strafvollstreckungskammer) hat heute in drei Verfahren über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung entschieden, bei denen zum Zeitpunkt der Anordnung der Sicherungsverwahrung eine gesetzlich bestimmte Höchstfrist von zehn Jahre bestand.
In einem Fall ist die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zum 28. Februar 2011 für erledigt erklärt worden und Führungsaufsicht mit einer Vielzahl von Weisungen angeordnet worden. Der Untergebrachte war wegen Totschlages in zwei Fällen nebst anschließender Sicherungsverwahrung vom Landgericht Berlin 1980 und 1984 verurteilt worden.
Die Kammer entschied in dem zweiten Verfahren, dass die weitere Vollstreckung in der Sicherungsverwahrung ab dem 28. Februar 2011 zur Bewährung ausgesetzt wird. Darüber hinaus wurde ebenfalls Führungsaufsicht mit einer Vielzahl von Weisungen angeordnet. Dieser Untergebrachte wurde durch Urteile des Landgerichts Berlin vom 25. Februar 1994 und 24. Oktober 1994 wegen einer im Vollrausch begangenen schweren Straftat zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
In dem dritten Fall hat die Strafvollstreckungskammer beschlossen, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung fortdauert. Der Untergebrachte wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. November 1987 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit Vergewaltigung, sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren nebst anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Hintergrund dieser Überprüfungen durch die Strafvollstreckungskammer ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009. Der EGMR hatte gerügt, dass die Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift, mit der die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren abgeschafft wurde, auf Altfälle gegen die Menschenrechtskonvention verstoße. Diese Entscheidung ist seit dem 10. Mai 2010 endgültig.
Nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer kann demnach nur bei höchstgefährlichen Verurteilten nach Ablauf der zehn Jahre eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung gerechtfertigt sein. Im Falle geminderter Gefährlichkeit erfolge die Erledigung der Maßnahme und in Fällen einer hinreichenden Herabsetzung der Gefährlichkeit die bewährungsweise Entlassung.
Nach Einholung von Sachverständigengutachten ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass in einem Fall weiterhin eine akute Gefahr bestehe, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen werde. In dem anderen Verfahren konnte die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Ursache der Gefährlichkeit unter anderem in einer Alkoholabhängigkeit bestanden habe, der Untergebrachte aber nunmehr seit Jahren abstinent sei. Auch im dritten Fall folgte das Gericht den Ausführungen der Sachverständigen, nach denen unter anderem aufgrund des Alters des Untergebrachten (er ist 69 Jahre alt) und seiner körperlichen Verfassung nicht zu erwarten sei, dass er nochmals schwerwiegende Straftaten begehen werde.
Bereits am 9. September 2010 hatte die 91. Strafkammer in einem weiteren Verfahren die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. Sie können mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angegriffen werden.
Dr. Petra Carl
Pressesprecherin
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Kammergericht: Akkreditierung und Poollösung zur Hauptverhandlung gegen zwei mutmaßliche Unterstützer terroristischer Vereinigungen im Ausland(PM 51/2010)
Pressemitteilung Nr. 51/2010 vom 19.10.2010
Die Präsidentin des Kammergerichts
– Pressestelle der Berliner Strafgerichte –
Kammergericht: Akkreditierung und Poollösung zur Hauptverhandlung gegen zwei mutmaßliche Unterstützer terroristischer Vereinigungen im Ausland
Der Generalbundesanwalt hat gegen drei Personen wegen des Verdachts der Unterstützung der terroristischen Vereinigungen im Ausland Islamische Jihad Union (IJU) und Deutsche Taliban Mujahideen (DTM) und weiterer Straftaten am 10. August 2010 Anklage zum 1. Strafsenat des Kammergerichts (Strafschutzsenat) erhoben.
Am 5. November 2010, 9.00 Uhr, Saal 700, findet die Hauptverhandlung gegen zwei Angeklagte (Alican T. (21 J.) und Filiz G. (29. J.)) statt.
Auf Grundlage der durch den Vorsitzenden des 1. Strafsenats des Kammergerichts getroffenen Anordnung gilt unter anderem Folgendes:
1. Akkreditierung: Da Presseplätze nur in begrenztem Umfang vorhanden sind, können nur akkreditierte Pressevertreter, die sich mit einer Pressekarte der Pressestelle der Berliner Strafgerichte ausweisen, zur Hauptverhandlung zugelassen werden; für sie stehen die Plätze im vorderen, nicht zum Zuhörerraum gehörenden Teil des Sitzungssaals zur Verfügung. Insgesamt sind 30 Plätze vorhanden. Bei geringerem Presseinteresse können freie an andere, nicht akkreditierte Pressevertreter vergeben werden.
Die Pressekarten können bis
Freitag, 29. Oktober 2010,
per E-Mail (pressestelle.moabit@kg.berlin.de) oder per Telefax (030/9014 2477) bei der Pressestelle der Berliner Strafgerichte beantragt werden.
Die Pressekarten können ab
Donnerstag, 4. November 2010,
in der Pressestelle der Berliner Strafgerichte (Zimmer 425 des Kriminalgerichts Moabit, Turmstraße 91, 10559 Berlin) gegen Vorlage eines gültigen Presseausweises abgeholt werden.
2. Poollösung: Im Sitzungssaal und im davor liegenden Sicherheitsbereich dürfen an allen Verhandlungstagen 30 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung jeweils ein Team einer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt und eines Privatsenders bestehend aus je einem Kameramann und bis zu zwei Begleitern sowie zwei Fotografen – darunter zumindest ein Fotograf einer Presseagentur – filmen und Tonaufnahmen machen bzw. fotografieren. Das Mitführen von Stativen, Tonangeln und Leitern wird aus Sicherheitsgründen untersagt.
Sollten mehr Filmteams und/oder Fotografen interessiert sein, haben sie bis zum
Freitag, 29. Oktober 2010,
der Pressestelle der Berliner Strafgerichte per E-Mail (pressestelle.moabit@kg.berlin.de) oder per Telefax (030/9014 2477) eine bestimmte Person oder Anstalt zu benennen, von der die Film- oder Fotoaufnahmen gefertigt werden sollen („Poolführer“).
Die Poolführer haben sich schriftlich zu verpflichten, das Bildmaterial ihren Konkurrenzunternehmen und Mitbewerbern zeitnah kostenlos zu überspielen oder anderweitig zur Verfügung zu stellen. Die erforderlichen Absprachen obliegen im Einzelnen den interessierten Anstalten, Redaktionen, Agenturen und Journalisten. Kommt eine Einigung nicht zustande, dürfen im Sitzungssaal keinerlei Aufnahmen gemacht werden.
Wegen der beengten räumlichen Verhältnisse und der Anzahl der Personen, die sich an den Verhandlungstagen während der Verhandlungspausen und nach dem Ende der Sitzung im Sitzungssaal bzw. im Sicherheitsbereich hinter der Schleuse aufhalten dürfen, sind Film- und Fotoaufnahmen im Sitzungssaal und im davor liegenden Sicherheitsbereich zu diesen Zeiten nicht gestattet. Die hieraus resultierende Einschränkung von Artikel 5 Abs. 1 GG ist zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung nach § 176 GVG geboten und verhältnismäßig.
3. Die Durchführung von Interviews im Sitzungssaal ist zu keinem Zeitpunkt gestattet.
4. Kontrollen: Die zu 1. aufgeführten Pressevertreter haben die Schleuse zu benutzen und sich dort mit der ihnen erteilten Genehmigung sowie unter Vorlage eines ein Lichtbild aufweisenden amtlichen Ausweises zu legitimieren. Sie sind auf Waffen und gefährliche Werkzeuge durch Abtasten und Absonden der Kleidung zu kontrollieren. Mitgeführte Behältnisse sind zu durchsuchen. Die Einbringung von Hilfsmitteln journalistischer Art (Diktiergeräte, Tonbandgeräte und zu Film- oder Fotoaufnahmen geeignete Geräte wie etwa Fotohandys u.a.) ist aus Sicherheitsgründen untersagt.
Auch die zu 2. aufgeführten Personen haben die Schleuse zu benutzen und sich dort mit der ihnen erteilten Genehmigung sowie unter Vorlage eines ein Lichtbild aufweisenden amtlichen Ausweises zu legitimieren. Sie sind sodann auf Waffen und gefährliche Werkzeuge durch Abtasten/Absonden der Kleidung zu durchsuchen; mitgeführte Gegenstände, insbesondere Aufnahmegeräte, sind entsprechend zu kontrollieren.
5. Sämtlichen Pressevertretern wird es untersagt, Gegenstände welcher Art auch immer, insbesondere Schreibwerkzeug o.Ä., an Personen im Zuschauerraum zu übergeben.
6. Sämtliche Pressevertreter haben den Anordnungen der Wachtmeister unverzüglich zu folgen. Kommen Sie den Anordnungen nicht nach, so verlieren sie ihre Akkreditierung bzw. die Zugehörigkeit zum Poolteam.
7. Gerichtszeichner sind auf Antrag und nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Vorsitzenden zum Saal zuzulassen. Sie unterliegen denselben Auflagen wie die Pressevertreter zu 1. mit Ausnahme der für ihre Berufsausübung erforderlichen Unterlagen und Gegenstände.
Pressemitteilung der Berliner Strafgerichte vom 26. August 2010, Nr. 41/2010
Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 25. August 2010, Nr. 21/2010
Dr. Petra Carl
Pressesprecherin
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Presseübersicht des Oberverwaltungsgerichtes
Bebauungsplan für Grundstücke an der Württembergischen Straße im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin unwirksam – 26/10
Pressemitteilung
Berlin, den 19.10.2010
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute auf Grund einer mündlichen Verhandlung in einem Normenkontrollverfahren den im Dezember 2008 beschlossenen Bebauungsplan IX-46-2 für die Grundstücke Württembergische Straße 41-44 und 45-48 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Ortsteil Wilmersdorf, für unwirksam erklärt.
Der angefochtene Bebauungsplan setzt für das bis Ende 2009 als Kleingartenanlage genutzte Gelände ein allgemeines Wohngebiet sowie einen ca. 20 bis 23 m hohen Baukörper fest, der zwischen einem nördlichen und südlichen Gebäuderiegel, die sich jeweils senkrecht zur Württembergischen Straße in die Tiefe des Grundstücks hinein erstrecken, mäanderförmig entlang der Württembergischen Straße verläuft. Gegen diese Planung wandten sich mehrere Wohnungseigentümer eines benachbarten Mehrfamilienhauses, die u.a. eine erhebliche zusätzliche Verschattung befürchten.
Das Gericht hat zunächst klargestellt, dass der Plan als Bebauungsplan der Innenentwicklung im sog. beschleunigten Verfahren – d.h. u.a. unter Verzicht auf eine förmliche Umweltprüfung und vor einer Änderung bzw. Ergänzung des Flächennutzungsplans – aufgestellt werden durfte. Die der Planung zugrunde liegende Abwägung sei jedoch zu beanstanden. Im Zusammenhang mit dem durch den Bebauungsplan zugelassenen Maß der baulichen Nutzung (d.h. der baulichen Ausnutzbarkeit der im Plangebiet gelegenen Grundstücke) habe der Plangeber das Ausmaß der Überschreitung der in allgemeinen Wohngebieten maximal zulässigen Geschossflächenzahl (d.h. einem Verhältniswert zwischen nutzbarer Fläche und Grundstücksfläche) nicht zutreffend berechnet. Außerdem sei er unzutreffend vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Obergrenze des Maßes der baulichen Nutzung ausgegangen. Die danach erforderlichen städtebaulichen Gründe für die Überschreitung der zulässigen Geschossflächenzahl seien in der Planbegründung nicht ausreichend dargelegt worden.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Urteil vom 19. Oktober 2010 – OVG 2 A 15.09 –
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Presseübersicht des Verwaltungsgerichts
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Falschparker kann auch ohne konkrete Behinderung umgesetzt werden
Pressemitteilung Nr. 46/2010 vom 08.10.2010
Ein Kraftfahrzeug, das im Haltverbot steht, kann von der Polizei auch dann umgesetzt werden, wenn keine konkrete Behinderung von ihm ausgeht. Dies folgt aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, das die Klage des Fahrzeughalters gegen einen Gebührenbescheid abgewiesen hat.
Der Kläger hatte seinen PKW im Oktober 2009 in einem vor der Oberschule der Jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte eingerichteten Haltverbotsbereich geparkt. Polizeibeamte ordneten daraufhin die Umsetzung des Fahrzeugs an. Gegen den Gebührenbescheid in Höhe von 125,- Euro hatte der Kläger eingewandt, es sei für ihn als Ortsfremden nicht erkennbar gewesen, aus welchen Gründen das Haltverbot eingerichtet gewesen sei.
Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts wies die Klage ab und bekräftigte die ständige Rechtsprechung, wonach von einem falsch parkenden Fahrzeug eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe, der die Polizei durch sofortiges Handeln begegnen dürfe. Es liege auf der Hand, dass die Einrichtung eines absoluten Haltverbots vor der Oberschule der Jüdischen Gemeinde Berlin zum Schutz vor Terroranschlägen gerechtfertigt sei. Ein aus diesem Grund eingerichteter Sicherheitsbereich könne seine Funktion nur dann erfüllen, wenn er durchgehend ohne jede Einschränkung von parkenden Fahrzeugen freigehalten werde. Die Verkehrsbehörde sei nicht verpflichtet, die Hintergründe für die Einrichtung eines absoluten Haltverbots bei der Aufstellung eines Verkehrszeichens erkennbar zu machen, um die Akzeptanz für die Kraftfahrer zu fördern. Die Umsetzung des Fahrzeuges sei aber auch unter dem Gesichtspunkt der negativen Vorbildwirkung gerechtfertigt. Es komme erfahrungsgemäß immer wieder vor, dass bereits ein verbotswidrig abgestelltes Fahrzeug dazu führe, dass auch andere Kraftfahrer ihre Fahrzeuge ebenfalls unter Missachtung der geltenden Parkverbote abstellten.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Urteil der 11. Kammer vom 18. August 2010 – VG 11 K 279.10.
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Solaranlage darf auf denkmalgeschütztes Haus in Zehlendorf
Pressemitteilung Nr. 45/2010 vom 05.10.2010
Das Denkmalschutzrecht steht dem Umweltschutz nicht grundsätzlich entgegen. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Berlin der Klage zweier Kläger stattgegeben, die nun auf ihrem denkmalgeschützten Haus eine thermische Anlage zur Brauchwassererwärmung errichten dürfen.
Das 1928 gebaute Haus der Kläger befindet sich in der Siedlung „Am Fischtalgrund“ in Berlin-Zehlendorf. Diese ist Teil einer im Rahmen der Ausstellung „Bauen und Wohnen“ von siebzehn Architekten aus ganz Deutschland errichteten Versuchs- bzw. Mustersiedlung. Während die Häuser der benachbarten „Waldsiedlung“ überwiegend mit flachen Dächern und glatten, grell bunten Außenwänden versehen sind, wurden die Gebäude der Siedlung „Am Fischtalgrund“ schlichter gestaltet und mit spitz zulaufenden, ziegelgedeckten Satteldächern mit 45 Grad-Neigung ausgestattet. Die verschiedenen Dachformen waren Sinnbild für die unterschiedlichen Vorstellungen der jeweiligen Planer der Siedlungen. Die Kontroverse über die Dachformen ist unter dem Namen „Zehlendorfer Dächerkrieg“ in die Architekturgeschichte eingegangen.
Die Denkmalbehörde hatte eine denkmalrechtliche Genehmigung für eine Solaranlage auf dem Dach mit der Begründung abgelehnt, die Installation würde auf Jahre zu einer erkennbaren Veränderung an der erhaltenswerten Originalsubstanz des Hauses führen. Das Fassadenbild mit seinen zeittypischen Einzelheiten gelte es unbeeinträchtigt zu bewahren. Zudem bestehe die Gefahr einer negativen Vorbildwirkung für die gesamte Siedlung.
Die 16. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte dem nicht. Gründe des Denkmalschutzes stünden der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung nicht entgegen. Der Aspekt der Stärkung erneuerbarer Energien sei bei einer nach dem Denkmalschutzgesetz erforderlichen Interessenabwägung zu berücksichtigen und führe hier bei einer Gesamtbetrachtung zu einem Überwiegen der privaten Interessen an der Errichtung der Solaranlage. Im Rahmen der Abwägung komme es auf die Bedeutung und den Wert des denkmalgeschützten Gebäudes und insbesondere der Dachlandschaft, die konkrete Ausgestaltung sowohl der Dächer als auch der Solaranlage, deren Einsehbarkeit und schließlich deren ökologischen sowie ökonomischen Nutzen an. Da die Solaranlage auf der – ohnehin schlecht einsehbaren – Gartenseite des Daches montiert werden solle, könne das Spitzdach nicht mit einem Blick zusammen mit den Flachdächern der Waldsiedlung erfasst werden; daher beeinträchtige die Anlage nicht den Zeugniswert der Dachlandschaft für den „Zehlendorfer Dächerkrieg“. Darüber hinaus sei die Einheitlichkeit der Dachgestaltung der übrigen Häuser zwischenzeitlich durch Aufbauten (Einzel- und Doppelgauben sowie Satellitenschüsseln und Fernsehantennen) weitgehend verloren gegangen. Schließlich führe der im Grundgesetz verankerte Umweltschutz dazu, dass Einschränkungen im Erscheinungsbild eines Denkmals unter dem Gesichtspunkt Energieeinsparung eher hinzunehmen seien.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Verwaltungsgericht die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.
Urteil der 16. Kammer vom 9. September 2010 – VG 16 K 26.10.
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Scheinanmeldung kann zum Verlust des Schulplatzes führen
Pressemitteilung Nr. 47/2010 vom 12.10.2010
Wer einen Schulplatz an einer Oberschule aufgrund unrichtiger Angaben über den tatsächlichen Wohnsitz erlangt hat, muss damit rechnen, dass der Platz nachträglich wieder aberkannt wird. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, in der es die von der Schulbehörde getroffene Entscheidung zur Rücknahme der Schulzuweisung im Eilverfahren gebilligt hat.
Die Antragstellerin hatte zum Schuljahr 2010/2011 die Aufnahme ihrer Tochter in eine 7. Klasse eines Gymnasiums in Berlin-Lichtenberg beantragt. Nach dem bislang geltenden Berliner Schulgesetz war für die Auswahlentscheidung u.a. die Erreichbarkeit der Schule vom Wohnort des Schülers maßgebend. Nachdem der Platz auf der Grundlage der Angaben der Antragstellerin zum Wohnsitz zugewiesen war, kamen der Schulbehörde Zweifel an der Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben der Antragstellerin, weshalb sie die Zuweisung sofort vollziehbar zurücknahm.
Die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts billigte vorerst die Entscheidung der Schulbehörde. Es bestünden keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Rücknahme, weil die Zuweisung aller Voraussicht nach rechtswidrig gewesen sei. Es bestünden zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass die angegebene Meldeanschrift nicht mit den tatsächlichen Wohnverhältnissen übereingestimmt habe. So sei die Ummeldung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Schulanmeldung erfolgt und an der angegebenen Wohnadresse habe sich kein Klingelschild der Antragstellerin befunden. Es sei fernliegend, dass die vierköpfige Familie, unter deren Anschrift die Anmeldung erfolgt sei, tatsächlich bereit gewesen sei, drei weitere Personen (die Antragstellerin und ihre beiden Töchter) in einer nur 86 qm großen 3,5 Zimmer-Wohnung aufzunehmen. Die Tochter der Antragstellerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass sie bei einem nunmehr notwendigen Schulwechsel bestimmte Angebote, die sie an der Wunschschule wahrgenommen habe, nicht mehr realisieren könne. Denn ihr sei durch die unrechtmäßige Aufnahme an der Schule ein Vorteil erwachsen, den sie anderenfalls nicht habe erlangen dürfen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Umsetzung der Maßnahme folge schließlich daraus, dass die drei Parallelklassen der Schule z.T. schon jetzt über die zulässige Kapazität von 32 Schülern hinaus besetzt seien.
Gegen den Beschluss ist die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.
Nach dem ab dem kommenden Schuljahr geltenden Berliner Schulgesetz ist die Erreichbarkeit der Schule nicht mehr Auswahlkriterium für die Zuweisung eines Schulplatzes an einer Oberschule.
Beschluss der 14. Kammer vom 8. Oktober 2010 – VG 14 L 265.10.
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Gelbe Tonne Plus darf vorerst stehenbleiben
Pressemitteilung Nr. 48/2010 vom 26.10.2010
Die ALBA GmbH darf das seit 2004 betriebene Wertstoffsammelsystem „Gelbe Tonne Plus“ vorerst weiter in Berlin betreiben, aber nicht über die bislang bereits angeschlossenen 410.000 Haushalte ausweiten. Dies folgt aus einer vorläufigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, mit der die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen eine Untersagungsverfügung der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz angeordnet worden ist.
Die Senatsverwaltung hatte der ALBA GmbH im August 2010 das weitere Einsammeln und Entsorgen von Nichtverpackungsabfällen – hierzu zählen z.B. Elektrokleingeräte, Holz, Bratpfannen, Kunststoffspielzeug etc. – über das Sammelsystem „Gelbe Tonne Plus“ untersagt. Die sofortige Vollziehung der Maßnahme war im Wesentlichen mit der Begründung angeordnet worden, das Sammelsystem entziehe dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger BSR fortlaufend Haushaltsabfälle und stelle damit die Planungsgrundlagen der öffentlichen Abfallentsorgung in Frage. Es sei dem öffentlichen-rechtlichen Entsorgungsträger nicht zumutbar, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einen erheblichen Mengen- und Gebührenrückgang zu verkraften bzw. durch eine entsprechende Gebührenerhöhung auffangen zu müssen.
Dem ist die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts nur teilweise gefolgt. Wegen der Komplexität des Streitstoffes hat sich das Gericht noch nicht abschließend zur Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung geäußert, sondern lediglich die von der Senatsverwaltung angenommene Eilbedürftigkeit der Untersagung hinsichtlich der bisherigen Sammeltätigkeit der ALBA GmbH verneint. Es sei derzeit nicht erkennbar,
dass durch die Entziehung überlassungspflichtiger Haushaltsabfälle die Planungsgrundlage der öffentlichen Abfallentsorgung in Frage gestellt werde. Dem jetzigen Sammelvolumen der „Gelben Tonne Plus“ von 4.500 Jahrestonnen stehe nämlich ein Wertstoffsammelvolumen der BSR von 300.000 Jahrestonnen gegenüber. Das Vorhaben der BSR, in Berlin flächendeckend die eigene kommunale Wertstofftonne „Orange Box“ einzuführen, sei durch den vorübergehenden Weiterbetrieb der „Gelben Tonne Plus“ nicht gefährdet, weil die bisherige Sammeltätigkeit der ALBA GmbH nur etwa ein Viertel der privaten Haushalte erfasse. Die kurzfristige Einführung der kommunalen Wertstofftonne „Orange Box“ sei daher ohne Weiteres für drei Viertel der verbleibenden Haushalte möglich. Ökologische Aspekte könnten die sofortige Einstellung der Sammlung über die „Gelbe Tonne Plus“ nicht rechtfertigen, weil sich die BSR zur Verwertung dieser Abfälle gerade privater Verwerter – darunter der ALBA GmbH – bediene. Schließlich sei auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass im Rahmen der für Herbst 2011 auf Bundesebene erwarteten Novellierung des Kreislaufwirtschaftgesetzes das Sammelsystem der ALBA GmbH rechtlich legitimiert werde. Eine Ausweitung des Wertstoffsammelsystems könne die Antragstellerin indes nicht verlangen, da dies in die bestehenden Entsorgungsstrukturen eingreifen würde.
Gegen den Beschluss ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.
Beschluss der 10. Kammer vom 25. Oktober 2010 – VG 10 L 274.10 -.
Vg 10 L 274.pdf
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